von Petra Vujovic

Welchem Genre gehört unsere Vergangenheit an?
Als die Superfrau endlich mit der Möglichkeit gesegnet wurde, an ihrem Institut aufzusteigen, konnte sie nicht ahnen, dass für ihr Überleben in der neuen Funktion neben Fachqualifikationen auch ein mafiöses Alter Ego vonnöten sein würde. Gefährliche Absichten. Sie begreift rasch, dass man ihr gleich vier „problematische“ Pflichtschulabschlussklassen anvertraut hat, denkt kurz über ihre Optionen nach und kommt zu dem Schluss, dass eine mafiöse Abrechnung die eleganteste Lösung ist. Wenn du sie nicht ändern kannst, besiege sie. Von diesem Moment an wird alles leichter. Mit der neuen Aufgabe konfrontiert, entwickelt sie eine einfache, aber äußerst effektive Strategie: Beobachtung, Lokalisierung, Neutralisation. Und an Beobachtungsobjekten mangelte es nicht – Eine sechzigjährige Kellnerin, die nicht die Absicht hat, ihre Rente hinter dem Tresen eines stinkenden Gasthauses zu verbringen, Kindersoldaten aus Afrika, ein Dichter aus Peru, der Analphabet ist, tschetschenische Entführer, Waffenhändler und Drogendealer, die seit Langem die Stadt kontrollieren – genauer gesagt: bis die afghanischen Neuankömmlinge ihnen das Geschäft verdarben, junge Möchtegern-Bräute unterschiedlichster Profile und Vorlieben, Hobby-Prostituierte, alteingesessene Gestalten mit suizidalen und sadistischen Neigungen, glänzende Ex-Jugoslawen in teuren Turnschuhen und engen Trainingsanzügen, mit „Kette“ um den Hals und obligatorischer schwarzer Umhängetasche, ewige Adoleszente mit dem Syndrom eines pubertierenden Peter Pan, verlorene Jungen, mürrische Halunken.
Szene 1
Es läutete zum Unterrichtsbeginn. Die Superfrau betritt das Klassenzimmer und schließt die Tür hinter sich. Sie setzt sich an ihren Platz und notiert ohne Eile die Fehlenden, bleibt für die meisten aber chronisch unbemerkt. Ihre Unsichtbarkeit ist akut geworden und wird zum ernsten Problem. Sie wurde auf Dauer-„Ignore“ gesetzt. Das bedeutet Krieg, denkt sie. Nur, die Superfrau führt keine Männerkriege: laut, schmutzig, blutig, mit zu vielen visuellen und akustischen Effekten und zu wenig Resultaten. Nein, ihre Kriege sind weiblich – leise, aber zerstörerisch wie Strahlung.
Das Stimmengewirr im Raum schwillt zu einem ohrenbetäubenden Lärm an. Einige Schüler in den ersten Reihen lehnen sich bequem in ihren Stühlen zurück, die Füße auf den Tisch gelegt, laut Musik hörend. Eine Gruppe von Jungs in der letzten Reihe kichert leise und tuschelt, andere sitzen still da, starren ins Leere und warten, so scheint es, darauf, dass etwas geschieht. Und die Superfrau wird sich darum kümmern, dass ihnen etwas geschieht.
Wenn du sie nicht überstimmen kannst, überstille sie! Der Effekt ist derselbe, nur der Aufwand ist geringer.
Ganz in ihrer neuen Rolle, steht sie unerwartet auf und lehnt sich an den Tisch, das Gesicht der Klasse zugewandt. Sie spricht kein Wort, sie sieht nur ausdruckslos in einen imaginären Punkt. Die Zeit vergeht, doch sie bleibt regungslos. Mit kaltem Blick tritt sie scheinbar desinteressiert auf ihre finsteren und besorgten Gesichter. Ihre Gelassenheit friert die aufgeheizte Atmosphäre im Klassenzimmer ein. Der Lärm verstummt allmählich. Bald sitzen alle auf ihren Plätzen und beobachten sie verwundert. Die Spannung wird unerträglich. Einige beginnen nervös, sich zu rühren. Die Uhr tickt unzählige Sekunden weiter. Einige Schüler versuchen, ein Gespräch mit ihr aufzubauen, doch es gelingt ihnen nicht. Sie wirken orientierungslos. Die Nervosität wächst. Keiner versteht, was geschieht. Schnitt. Schnitt. Schnitt. Der Rollenwechsel hat sie in eine Krise gestürzt, und die Superfrau hat ihnen eine wertvolle Lektion beigebracht: Eine unerwartete Wendung ist ein hervorragendes Mittel zur Beruhigung. Sie ist zufrieden mit ihrem Erfolg. Schweigen ist Gold.
Szene 2
Um 12:35 endet die große Pause. Die meisten Schüler kehren in ihre Klassenzimmer zurück. Zwei, ganz im künstlerischen Rausch vom Schnüffeln an Klebstoff, sitzen unter der Wand und beschäftigen sich nebenbei mit der lässigen Renovierung des Schulinventars. In der Hand halten sie je einen Pinsel, den sie entspannt in Kleber tauchen und voller Inspiration über die prall gefüllte Mehrfachsteckdose streichen. Junge Menschen – so kreativ heutzutage!
Kurz darauf betritt eine Gruppe lauter Mohnblumen den Raum. Einer von ihnen, der mit der Sonnenbrille, hält in der einen Hand eine offene Flasche Corona, in der anderen eine brennende Zigarette. Er setzt sich auf seinen Platz, legt die Beine auf den Tisch, bläst eine weiße Rauchwolke aus und nimmt einen Schluck Bier. Auf seinem Gesicht glänzt ein breites Grinsen, erfüllt von einem Gefühl der Selbstzufriedenheit und Überlegenheit. Dieses selbstgefällige Grinsen muss dringend verschwinden. Also steht die Superfrau nonchalant auf und geht auf ihn zu. Sie schaut ihm direkt in die Augen, verzieht die Lippen zu einem zynischen Lächeln, blinzelt kokett – als wäre ihr alles entsetzlich langweilig – und nimmt ihm ohne ein Wort die Zigarette aus der Hand, um sie ganz beiläufig in die Bierflasche zu werfen.
Im Klassenzimmer breitet sich absolute Stille aus, nur das Zischen der Zigarette in der schäumenden Flüssigkeit ist zu hören. Schachmatt. Als er begriff, dass er nun ohne Zigarette und ohne Bier dastand, rastete er aus, was ihn direkt zum Direktor führte. Am demselben Tag wurde er wegen direkter Drohungen und aggressiven Verhaltens aus der Schule geworfen. Wann genau ist das eigentlich passiert…?
Szene 3
Das Büro des Direktors. Einige Schüler sitzen dem Direktor gegenüber, die Superfrau am Tischende, wie eine Angeklagte. Der Vorfall, der sie diesmal zur “höchsten Instanz” geführt hat, stand in Zusammenhang mit dem Lehrplan und einem Programm, mit dem die Superfrau, wie es scheint, äußerst unbedacht die Menschenfreiheit und einen nicht traditionellen Kleidungsstil propagiert – sowie sehr direkten Auftritt, der für eine Frau zu unverblümt ist und die schädlichen und fragwürdigen Werte der westlichen Frau verkörpert und dadurch die Jugend verdirbt. Das ist, nebenbei bemerkt, nur ein Teil des Problems. Das größte Problem besteht in der übermäßig aufgeregten Schülergruppe, die für Moral und weibliche Züchtigkeit zuständig ist – vor allem durch die Tatsache, dass alles, wofür sie offen Anklage erheben, sie persönlich als großes Kompliment betrachtet. Der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt! Es wäre schon schwierig, falsche Werte zu fördern, aber sich dann auch noch darauf etwas einzubilden – das geht eindeutig zu weit!
“Worin liegt das Problem?”, fragt der Direktor.
“Wir fordern, dass die besagte Professorin aus dem Klassenzimmer entfernt wird”, antworten die edlen Jugendlichen.
“Aha. Und warum, wenn ich fragen darf?”
“Wegen ihres unangemessenen Verhaltens.”
“Hmm”, entfährt es dem Direktor kurz, während er die Augenbrauen hochzieht.
„Gleichzeitig fordern wir, dass Unterrichtsinhalte entfernt werden, die die Jugend auf gefährliche Weise zu großen und schädlichen Freiheiten führen. Und dass die Professorinnen sich in Zukunft anständig kleiden”, fügen die selbstbewussten hohen Vertreter der Klasse hinzu.
“Der Lehrplan ist gesetzlich vorgeschrieben und steht nicht zur Diskussion. Und was das Ankleiden betrifft, schreibe ich meinen Lehrerinnen nicht vor, wie sie sich zu kleiden haben”, schließt der Direktor kurz.
“Dann kehren wir nicht mehr zum Unterricht zurück”, schließen die Herren noch kürzer.
In einer solchen Situation kann die Superfrau leicht in Depression verfallen, könnte aufgeben oder Kündigung einreichen – aber das wäre wirklich nicht ihr Stil. Ihre Neigung liegt eher im aktiven Widerstand als in der bedingungslosen Ergebung. Um das natürliche Gleichgewicht wiederherzustellen, das innerhalb des Klassenzimmers herrscht, muss sie die Macht der muskulösen Aggressoren brechen, und zwar mit der mentalen Kraft einer Spargeltorte! Wenn das kein Filmmaterial ist, weiß ich nicht, was es sein soll! „Aber wie zähmt man ein Wildtier?“, fragt der Kleine Prinz den Fuchs.
Die Tatsache, dass der Direktor hinter geschlossenen Türen bereits zum “unerwünschten” Thema und zum Wort “vielleicht” in Bezug auf Kleidung neigt, hat sie nur für ihren nächsten Schritt inspiriert. Ihr Kampf hat jetzt ein höheres Ziel. Brillant! Aber zuerst ein Makeover. Schwarze Lederhose, die ihre Silhouette unterstreichen, dunkelgrauer Kaschmir-Mantel bis zum Boden, seidene Bluse, Schmuck, hohe Stiefel mit Absatz, wilde Haare… Ihre Subtilität kennt keine Grenzen.
Selbstbewusst schlendert sie zwischen den Reihen und kontrolliert die Aufgaben. “Ungenau. Ungenau. Ungenau. Leider müssen wir alles überprüfen!”
Bald ist nur noch das Klopfen ihrer schweren Schuhe zu hören, vermischt mit schweren Seufzern und leisen Beschwerden im Klassenzimmer. Bei diesem Arbeitstempo werden ihre Schüler den Unterrichtsstoff vor der Zeit bewältigen – aber “bewältigen” reicht nicht mehr aus, jetzt heißt es implementieren!
“Auf, das muss schneller gehen! Vorwärts sage ich!”, ruft sie.
Die Schüler kritzeln hastig mit Seitenblicken auf die Tafel. Der Druck ist hoch, die Zeit zu kurz. Ihre Figur sehen sie nur in Fragmenten; die Spitze der Schuhe, roter Nagellack, eine Strähne langen, losen Haares, der Saum eines schweren Mantels, ein Ohrring, dunkelroter Lippenstift, Oberschenkel, Knie, Sohle…
Der Putsch ist offensichtlich gescheitert, und die Verhandlungen wurden abrupt abgebrochen. Von nun an gelten für die Aufständischen und ihre Sympathisanten neue Regeln! Und so wurde Superfrau zur Bossin. Die Königin der Unterwelt. Die geheimnisvolle Frau in Schwarz. Der Schrecken des Instituts. Chronisch ironisch, nicht wahr?
Szene 4
Klassenzimmer. Montagmorgen, erste Stunde. Plötzlich dachte sie an ihren Vater. Er wollte immer Kontrolle haben – und schaffte das auch meistens, indem er einfach bluffte. Also beschloss sie, in dieser pädagogischen Apokalypse denselben Trick zu versuchen.
„Am Wochenende warst du fort“, sagte sie einmal zu einem Schüler, „aber was ich da alles gesehen habe… behalte ich lieber für mich, nicht wahr?“ Zwinker. Seit sie die Schüler immer öfter zufällig in der Stadt traf, begannen sie an ihren Mythos der Allgegenwärtigkeit zu glauben. Und so entstand – wie von selbst – das Gerücht, dass sie überall Augen und Ohren habe. Sogar bei der Polizei, Bruder! Mit der Zeit wusste sie tatsächlich mehr über sie, als sie je wissen wollte. Die „Ertappten“ begannen sich ihr anzuvertrauen, um Rat zu fragen, Empfehlungen zu suchen. Die schmutzigen Geheimnisse ihrer Schüler und ihr Bluffen webten sich plötzlich in ein Netz aus Vertrauen – und machten aus einer losen Ansammlung junger Rebellen eine relativ kompakte Gang. Die Dinge begannen sich zu fügen…
Nur ein Problem blieb: das ewige Zuspätkommen zum Unterricht. Doch im Laufe der Zeit glaubten selbst die notorischen Spätkommer, dass ihr Verspäten irgendwie mit Kürzungen von AMS zusammenhängen könnte. Einige Schüler hatten nämlich begonnen, den Zusammenhang zwischen Minuten und Münzen zu erkennen – oder besser gesagt: zu halluzinieren.
So führte sie – inspiriert vom Schrecken ihrer eigenen Finanzberichte – ein neues Ritual ein: Eine Tabelle mit minutiösen Einträgen darüber, wie viele Minuten jeder einzelne zu spät kam. Und sie präsentierte diese Liste – mit geradezu theatralischem Talent – jeden Morgen vor der gesamten Klasse. Sie scheute keine Kommentare, keine spitzen Bemerkungen, nicht mal besorgte Blicke. „Macht nix“, sagte sie, „aber warum sinkt dann euer Taschengeld proportional zur Unpünktlichkeit, hm?“
Präzise. Öffentlich. Unvermeidbar. Dieses neue Ritual zu Beginn jeder Stunde sollte natürlich auch eine gewisse psychologische Wirkung auf die Neulinge im Kurs haben, die ja sowieso nur wegen der Unterschrift in die Schule kamen, also wegen des Geldes. Aber dass ihr Bluff solche köstlichen Früchte tragen würde, das hätte sie sich nie vorstellen können! Wenn jemand trotz der Angst vor angeblichen Geldstrafen zu spät kam, musste er so viele Liegestütze machen, wie er Minuten zu spät war, oder so viele Verse berühmter Goethe-Gedichte auswendig lernen. Mathematik ist da ganz klar. Klare Rechnung, lange Liebe!
Am Anfang protestierten die Muskelprotze heftig gegen die ungewöhnlichen Strafmaßnahmen, aber als die Superfrau einmal statt ihnen die Liegestütze machte, sich dabei den Staub von den Handflächen wischte und nur beiläufig bemerkte, dass sie wohl fälschlich angenommen habe, die Jungs seien in Topform, wurden die Liegestütze zur Frage der Ehre. Genauso war es mit den romantischen Liedern. „Röslein, Röslein rot…“ Hm, ich dachte, du würdest Frauenherzen wirklich brechen – sieht ganz so aus, als hätte ich dich da ein wenig überschätzt…